Samstag, 18. April 2009

Aus dem Internet Café in einem kleinen palestinensischen Dorf

Heute war unser freier Tag, der wortwörtliche Freitag. Der erste, seit wir in Jalqamus sind und das sind wir nun bereits seit 5 Tagen. Das Dorf hat uns herzlich aufgenommen, wir sind jeden Tag bei einer der 4 großen Familien hier zu Besuch. Zunächst hat uns der Bürgermeister begrüßt, am nächsten Tag der Vorsteher des Distrikts Jenin, dann der Bürgermeister von Jenin.
Das Dorf besteht aus 2000 Personen, die zu einer der 4 Familien gehören. Oma, Opa, Tanten, Onkel, Eltern und Geschwister, alle unter einem Dach. Oder nebenan. In unserem Fall sind wir meistens bei der Großmutter, wo sich alles sammelt, sozusagen der Knotenpunkt des Familienlebens. Ich fage mich was passiert, wenn sie stirbt, was Gott verhindern möge.
Gott und Allah: Heute hat der Muezzin besonders laut von den 2 Moscheen des Dorfes gerufen, Allahu akbar! Gott ist groß! Einer der wenigen Ausdrücke, die ich verstehe, all das Arabisch um mich herum ist wunderbar, ich liebe neue Sprachen. Die Leute hier sprechen fast alle kein Englisch, nur der Gruß “How are you?” wird jedes Mal mit “fine, thanks” beantwortet. Darauf muss sich die Unterhaltung dann notgedrungen beschränken, es sei denn, man hat es mit Kindern zu tun, von denen es hier viele gibt. Da geht Kommunikation noch gut über Mimik, Körper und Spiel, Dank dem, der den Fußball erfunden hat! Und das Lachen, das ist der Schlüssel zu aller guter Stimmung. Wir bringen viel gute Stimmung, strengen uns auch fleißig an, die Interaktion trotz Sprachbarrieren aufrecht zu erhalten. Das wichtigste Grundvokabular: ibn, bint, ammha, anti, ana, ismuk. Sohn, Tochter, Mutter, du, ich, Name. Damit und mit 10 Fingern kommt man schon ganz schön weit. Obwohl die oft nicht reichen, für den Kindersegen. Dass ich mit meinen 26 Jahren nicht verheiratet bin und Kinder habe ist nicht gerade die Norm hier. Auch nicht, dass ich ohne Kopftuch rumlaufe, aber das ist ok, wie mir versichert wurde. Die Leute hier scheinen sich darüber bewusst zu sein, dass wir im Westen Probleme mit der Kopftuchfrage haben und auch dem hiesigen Verhältnis von Männern und Frauen nicht gerade befürwortend gegenüber stehen, jedenfalls fügen sie auf die Frage, warum sie ein Kopftuch fragen, fast entschuldigend hinzu: mein Gott will das so. Wobei das entschuldigende Element nicht so sehr in der Antwort, sondern mehr in den Gesten, der Mimik und der Stimmlage zum Ausdruck kommt. Wie denn bei uns Menschen heiraten? Dass man zuerst einmal gemeinsam lebt ist natürlich unvorstellbar. Aber es ist ok, dass wir das so machen, sagen sie, sie machen es auf ihre Weise. Jedem das Seine.
Bis gestern habe ich mich trotz all der Herzlichkeit ein wenig unsicher gefühlt, man vergesse nicht, das hier ist ein Land im Krieg, das außerdem intern 2 große Parteien hat, die gegeneinander kämpfen. Aber die Nachmittage mit Tee trinken bei Achmeds Familie zerstreuen solche Gedanken immer wieder schnell. Auch dass mein Team bei mir ist gibt mir viel Sicherheit. Alleine würde ich mich angespannter fühlen.
Ein weiterer Vorteil das Team Daseins ist, dass man sich für die Besuche aufteilen kann. Es ist sehr, sehr wichtig, die guten Beziehungen zu wahren und dazu muss man viele Besuche abstatten. Viel Tee und Kaffee trinken und immer freundlich sein und gute Laune verbreiten. Da ist es gut, wenn man sich zwischendurch mal eine Pause gönnen kann, in der jemand anderes die Konversation übernimmt.
Was unsere Arbeit hier angeht: sie schreitet voran. Wir haben 2 Treffen jeweils mit der Frauengruppe und mit der Jugendgruppe abgehalten und ein Einführungstreffen mit den Männern. Sie treffen sich morgen das erste Mal. Ich als Frau leite natürlich die Frauengruppe, zusammen mit den anderen 4 Mädchen aus meinem Team. Die ersten beiden Treffen waren sehr gut, es ging vor allem darum sich kennen zu lernen und Vertrauen aufzubauen und die Bereitschaft, miteinander zu arbeiten. Was wieder mit viel Tee und Kaffe einherging. Wir treffen uns bei den Damen zu Hause. Die Hausaufgabe vom letzten Mal lautete: Stellt euch vor, es ist 2012 und in der Zeitung steht ein Artikel “Die Frauen von Jalkamus: ein Vorbild für alle Frauen der Welt”. Was habt ihr getan, wovon der Artikel berichtet? Ich bin gespannt. Sonntag treffen wir uns wieder. Wir haben 3 Treffen pro Woche.
Das Ziel ist es, mit ihnen gemeinsam ihre Wünsche zu erforschen und wie sie sie umsetzen können. Dabei wollen wir über das übliche “wir wollen einen Fußballplatz haben” hinausgehen und wirklich etwas aufbauen, was Zukunft haben kann, was langfristig etwas verbessert. Dabei ist wichtig, dass wir das Projekt nur starten, denn wir sind nur 4 Wochen hier, und dass die Frauen das Projekt selbst weiterführen. Damit das geschieht, muss es wirklich von ihnen kommen, es muss etwas sein, wovon sie sich wirklich vorstellen können, dass es einmal hier ist, sie müssen es wirklich wollen. Wir können ihnen also nicht irgendwelche Ideen von uns aufdrücken. Wir sehen unsere Aufgabe darin, den Prozess zu begleiten, dafür zu sorgen, dass gute Ideen ans Tageslicht kommen und so weiterverfolgt und geplant werden, dass sie tatsächlich Wirklichkeit werden und nicht nur Ideen bleiben. Die Ressourcen sollen dabei vor allem von den Dorfbewohnern kommen. Sie sind sehr fixiert auf Hilfe von außen und hier ist vieles von der UN und anderen Organisationen gesponsert, wir werden auch ständig nach Geld gefragt. Diese Erwartungshaltung abzubauen ist eine unserer Hürden, denn wir können kein Geld versprechen. Außerden geht es gegen unsere Vorstellung von nachhaltigem Aufbau, denn wenn für alles immer zuerst die Hilfe von außen da sein muss, bevor man beginnen kann, dann sind einem ziemlich die Hände gebunden und man legt sie in den Schoß, anstatt anzupacken. Das soll in unserem Projekt anders sein. Vielleicht bedeutet das, dass wir nur ganz kleine Schritte machen können, aber immerhin sind es selbstständige Schritte, komplett selbstständige. Das macht Mut und gibt Stolz.
Ich habe Schwierigkeiten mit der Frage, wieviel Geld von außen sinnvoll ist. Dieses Land hat wenig Geld, hat wenig Arbeit, hat einen “geringen Entwicklungsstand”, wenn man den materiallen Maßstab der westlichen Welt anlegt. Wie will es sich entwickeln? Wohin will es gehen? Worin will es dem Westen nacheifern und wo will es seine eigene Zukunft erschaffen, aus seiner Vergangeheit und mit neuen Vorstellungen für die Zukunft? Ich hoffe, diese Fragen können wir mit den Frauen erforschen. Ich bin wirklich neugierig.

Der Grund, warum in diesem Text keine Rede von der Besetzung durch Israel ist, ist dass wir keine politische Gruppe sind. Wir sind keine und wir wollen keine sein. Politik ist ein Faktor menschlichen Beisammenseins auf übergeordneter Ebene und insofern ist sie in alle Überlegungen einzubeziehen, aber sie ist nichts, womit wir uns primär beschäftigen. Wenn die Sprache darauf kommt, sind wir natürlich gegen die Besetzung, wer könnte schon dafür sein. Aber wir sind keine Aktivisten. Wir gehen davon aus, dass man aus jeder Situation das Beste machen kann, man hat immer irgendetwas wovon aus man starten kann.
Natürlich haben wir über das Thema geredet, mit Menschen hier (wir haben einen Übersetzer). Aus Jalqamus sind 3 Menschen getötet worden, von Israelis erschossen. Überall hängen Poster mit Männern mit Gewehren drauf (scary), die wurden geschossen, bevor sie in den Krieg zogen und wenn sie sterben, werden sie aufgehängt. In Jenin, wo wir heute waren, sind sie an jeder Ecke zu finden. Jede Familie hat irgendwen verloren. Das ist in Israel nicht anders. Wir haben die Frauen gefragt, ob sie den Israelis je vergeben können. Zuerst haben sie Nein gesagt, aber dann haben sie gesagt, dass sie es der Zukunft ihrer Kinder zuliebe doch könnten.
Was sonderbar ist, ist dass ich den Hass, der in den Menschen wohnen muss, nicht fühle. In Israel war das anders, da habe ich gefühlt, wie es unterschwellig kocht, zumindest bei Ruti, unserer Kontaktperson von Windows – Channels for Communication, mit denen wir zusammen arbeiten. Hier erkenne ich den Hass nicht, oder war noch in keiner Situation, wo er wirklich hochgekocht ist. Denn wenn man mit dieser Wahrheit jeden Tag lebt, dann ist man nicht ständig auf 180, auch wenn man tief im Herzen um so mehr verbittert ist. Ich will mich auch gar nicht zu tief in diese Bitterkeint einfühlen, denn dann würde auch ich anfangen zu leiden und da hat keiner was von. Ich denke es ist besser für alle, wenn ich hier eine gute Stimmung verbreite und keinen weiteren Hass schüre, weil ich selber hasse. Vielleicht beschützen sie uns sogar davor, indem sie das Thema nicht ständig anscheiden. Es ist ein Fakt, mit dem man lebt. Unglaublich, wenn man näher drüber nachdenkt.
Puh, das ist ein Thema, mit dem ich noch lange nicht fertig bin. Nur für heute. Gute Nacht.

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