Sonntag, 10. Mai 2009

Reflections

Ich bin gerade aus der Westbank zurückgekommen und sitze in meinem Zimmer in Tel Aviv. Bei der Familie wo ich vorher gewohnt habe, sie sind wirklich nett, ich kann bis zum Ende meines ganzen Projekts hier bleiben.
Ich hatte ein, nein, zwei gute Gespräche, eins mit der Mutter der Familie und eins mit Soad, meiner Teamkollegin, die hier mit mir wohnt. Das erste war über die Okkupation und das Geld, das Palestina über die Jahre an Entwicklungshilfe erhalten hat, das aber in dunklen Kanälen versickert ist. Kann man "den Palästinensern" dafür die Schuld geben? Kann man sagen "ihr hattet eure Chance und ihr habt sie nicht genutzt, nun beschwert euch gefälligst nicht, dass eure ökonomische Situation so schlecht ist"? Kann man sagen "ihr hattet die Chance eure eigenen Gasabbaugebiete zu finden und eure eigenen Brunnen zu bohren, nun sagt nicht, ihr wärt komplett und in allem von Israel abhängig"? Israel umrundet Palestina, alle Grenzen werden zum kleineren oder größeren Teil von Israel kontrolliert, alles was ein- und ausgefahren wird wird von Israel kontrolliert. Kein Wunder, dass die Leute in Palestina sagen, sie seien von Israel abhängig.
Die Mutter der israelischen Familie ist ein großer Menschenfreund und sie steht sehr auf der palästinensischen Seite. Trotzdem ärgert sie sich, dass es den Palästinensern nicht gelungen ist, sich so zu organisieren, dass sie das ganze Entwicklungshilfegeld sinnvoll nutzen konnten, anstatt dass es "verschwindet". Sie meint, die einzige sinnvolle Lösung ist, dass Investoren aus dem Ausland eine Fabrik bauen und die Leute vor Ort zu fairen Löhnen für sich arbeiten lassen. Und dass jemand aus dem eigenen Land, ein Araber, denn nur der hat genug Glaubwürdigkeit, seinen Leuten sagt: Wacht auf und lasst euch von dieser blöden Okkupation nicht unterkriegen! Baut euer Land trotzdem auf, zur Hölle mit den Israelis, ihr seid kluge Leute und ihr findet Mittel und Wege um drumherum zu arbeiten!" Die Frage nach Okkupation und Gewalt oder keine Gewalt stellt sich dann gar nicht. Friede wird sich als Resultat so oder so einstellen, wenn man sich so verhält, als sei er schon da.

Das zweite Gespräch war mit Soad. Wir sprachen über commitment. Schwierig ein deutsches Wort dafür zu finden, sowas wie "dauerhaft Verantwortung übernehmen, sich einer Sache verschreiben, Verbindlichkeit". Haben wir, die wir hier waren und mit den Menschen in Jalqamus gelebt und gearbeitet haben, haben wir die Pflicht, weiter mit ihnen zu leben und zu arbeiten? Es ist sonnenklar, dass wir in der Zeit, die wir da waren, nicht besonders viel gegeben haben. Jedenfalls habe ich nicht das Gefühl, dass wir das getan haben, dass ich das getan habe. Vielleicht war es auch nicht möglich, wir waren nur einen Monat hier. Aber verpflichtet uns dieser eine Monat dazu, länger zu bleiben? Wenn wir nicht länger bleiben oder von außerhalb weiter an unsere Freunde in Palestina denken: heißt das, dass wir dort einfach nur zu unserem eigenen Vergnügen und Lernen waren? Heißt es, dass wir die Leute dort betrogen und ausgenutzt haben? Betrügen geht mit Versprechen einher: was haben wir versprochen? Wir haben versprochen, einen Monat lang mit den Leuten vor Ort an ihren Wünschen und Bedürfnissen zu arbeiten. Diese Bedürfnisse waren zu groß für ein einmonatiges Projekt, sie lauteten "Jobs, Geld, Ende der Okkupation". Wir KaosPiloten haben dann mit dem gearbeitet, was uns möglich erschien: da sein, einfache Dinge des Lebens erfragen und an diesen "Projekten" arbeiten, wie z.B. einen Jugendclub gründen oder einen Plan für ein Tomatengewächshaus erstellen. Das Geld für die Erstinvestition fehlt, aber immerhin besteht der Plan. Haben wir mit diesen Dingen den Leuten in Jalqamus etwas gegeben? Etwas, was für sie genauso groß ist wie das, was sie uns gegeben haben? Nämlich eine riesengroße Lernerfahrung, einen Schatz, indem sie uns in ihr Leben gelassen haben. Wie können wir diesen Schatz mit Respekt behandeln? Ist es respektvoll, einfach danke zu sagen und zu gehen? Sind wir verpflichtet, länger zu bleiben? Ist es fair, diesen Schatz mit Geld aufwiegen zu wollen und was würde dadurch zerstört und was gewonnen? Wie kann Entwicklungshilfegeld sinnvoll eingesetzt werden?

Bin ich verpflichtet länger zu bleiben? Wenn ich länger bleibe oder mich anders mit Palestina beschäftige, dann will ich das nicht von einem Ausgangspunkt der Schuld tun. Das ist kein guter Nährboden, für nichts. Ich möchte von einem Nährboden des Enthusiasmus arbeiten.
Ich habe den Gedanken, Tourismus aufzubauen. Tourismus, der das oben angesprochene Gleichgewicht hält, zwischen Geben und Nehmen. Ein Tourismus, der auf Freundschaft und echter Beziehung beruht, und der dennoch klare Grenzen zieht bis zu welchem Grad man sich verpflichtet. Ist das möglich?
Ich möchte ein Tourismusprojekt aufbauen, das gleichzeitig ein Forschungsprojekt ist, auf mehreren Ebene: ich will die Fragen erforschen "Was ist Geld? Was ist Wert?" und "Wie funktionieren Beziehungen so, dass man sich nicht gegenseitig ausnutzt, aber trotzdem einen festen Rahmen hat darüber, was man erwarten kann? Wie kann eine Beziehung lebendig bleiben, wenn sie von vorne herein auf kurze Dauer angelegt ist? Aber dennoch die Möglichkeit hat, länger zu dauern? Aber diese Erwartung nicht die Grundlage der Beziehung sein kann?"
Wenn ich eine Gruppe finde, die diese Fragen erforschen will und die nach Jalqamus fahren will und die dort mit den Menschen leben und arbeiten will und die Geld hat das selber zu bezahlen (oder Mittel findet um das zu bezahlen): vielleicht würde ich das als mein finales Projekt bei den KaosPiloten in Betracht ziehen. Meine Abschlussarbeit. Ich habe ein Jahr Zeit dafür.
Da steht auch noch die Frage des Ausgleichs zwischen Freiwilligenarbeit und Geld geben. Freiwillige arbeiten für umsonst, oft für Kost und Logis. Dennoch ist es oft Geld, das vor Ort benötigt wird. Darum hatte ich den Gedanken des Tourismus, da ist es akzeptiert und ok, dass der Tourist Geld zahlt für eine Leistung, die er bekommt, nämlich eine schöne Erfahrung. Value-exchange, Wert-Austausch und Beziehung: wie geht das einher?
Hm, wie wäre es, wenn eine Gruppe Freiwilliger ein Blankobudget auftreibt und dann mit diesem Budget ein Projekt gemeinsam mit den Bewohnern von Jalqamus entwickelt?

Ideen und Gedanken. Fragen über Fragen. Ich frage mich, wo in dieser Welt für mich der Ort ist, an dem ich dienen kann, ohne mich aufzuopfern. Und was es braucht, damit ich es an diesem Ort auch aushalte, was die Einstellungen und Einsichten sind, die ich brauche, um meine Energie beisammen zu halten. Nicht nur beisammen zu halten, sondern die Sache zu finden, an der zu arbeiten mir Energie gibt.
Lalala, eigentlich ist es ganz einfach, wenn es nicht so schwer wäre!

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